headerimg

Was man unter «gemeinnützig» verstehen kann

Zwei der im Info-Netzwerk «Gemeingut Boden» mitarbeitenden Stiftungen verfolgen keinen anderen Zweck, als Boden für Nutzer bereitzustellen. Diese können ihn im Baurecht übernehmen und bebauen bzw. bestehende Häuser bewirtschaften oder umbauen. Die Häuser auf diesen Grundstücken sind frei verkäuflich, der Boden muss gemäss Statuten in der Hand der Stiftung bleiben. Die Nutzungsgebühr (Baurechtszins) ist lediglich indexiert und wird nicht der Boden-Preisentwicklung angepasst. Der Erfahrungszeitraum von gut 20 Jahren zeigt, dass das Entgelt für die Nutzung des Bodens deutlich unter dem (kapitalisierten) Wert liegt, der für Grundstücke im Quartier aufgewendet werden muss. Mieten im gemeinnützigen Wohnungsbau liegen gemäss NZZ 26% tiefer als Marktmieten – bei den erwähnten Stiftungen dürften die entsprechenden Zahlen langfristig noch tiefer liegen. Wohneigentum und Mieten bleiben damit möglich, gerade auch für einkommensschwächere Bewohner. Damit erfüllen diese Stiftungen einen sozialen, gemeinnützigen Zweck im Allgemeininteresse, ohne dass sie in ihrem Zweckartikel explizit soziale oder kulturelle Förderziele benennen. Wie geht eine Steuerbehörde mit dieser gemeinnützigen Zielsetzung um?

Eigentlich sollte man annehmen können, dass eine Stiftung, die in diesem Sinn im Allgemeininteresse handelt, als gemeinnützig gelten könnte – selbst wenn sie kein anderes Ziel verfolgt, als die günstige Bewohnbarkeit von Häusern durch moderate Mieten zu fördern. Eine kantonale Steuerverwaltung kommt zu einem ganz anderen Schluss. «Die Tätigkeit der juristischen Person muss im Interesse der Allgemeinheit liegen und gilt aus gesell­schaftlicher Gesamtsicht als fördernswert» schreibt die Steuerverwaltung im Februar 2016 an eine der Stiftungen. Das oben geschilderte materielle Ziel der langfristigen «Verbilligung» des Wohnens wird im Bescheid der Steuerverwaltung nicht gewürdigt, dagegen wird ideell (ideologisch) argumentiert: «Die Vermarktung und damit Handelbarkeit des Bodens gilt in der Schweiz als allgemeine Volksauf­fassung. ... Die Schweiz ist bekannt als Land der freien Marktwirtschaft. Eine Änderung des Systems würde einen tiefgreifenden Einschnitt in diese freie Handlungs- und Marktwirtschaft bedeuten.» Zwar ist hinter diese Argumentation ein Fragezeichen zu setzen. Denn die Idee der freien Marktwirtschaft und Handelbarkeit kann ja eben nicht bedeuten, dass an dieser Freiheit nur ein sehr kleiner Kreis der Bevölkerung zu partizipieren vermag. Aber vielleicht treibt den steuerbehördlichen Briefschreibers ganz einfach die Angst vor Ertragsrückgängen: «Damit der Staat seine Aufgaben erfüllen kann, werden Steuern erhoben. Für den Grund und Boden erhebt der Staat (Kanton) eine Vermögenssteuer. Aufgrund des immensen Wertes von Grund und Boden vereinnahmen die Kantone dadurch erhebliche Steuern. ... Die Einnah­men aus diesen Steuern würden bei einem Systemwechsel einbrechen. Der Staat müsste entweder auf Aufgaben verzichten oder die Steuern für alle erhöhen, was nicht im Interesse der Allgemein­heit liegt.» Die inflationäre Entwicklung von Mieten und Wohneigentum ist auch unter marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten eine Fehlentwicklung. Wenn eine Behörde solche Fehlentwicklungen verteidigt, weil sie davon profitiert, liegt ein Fehlanreiz vor. Ebensogut könnte sie Inflation generell begrüssen, weil sie progressionsbedingt davon profitiert. Totzdem (oder deshalb) hat die Steuerbehörde mit dieser Argumentation die Anerkennung der Gemeinnützigkeit verweigert.

Allerdings beisst sich die Katze in den Schwanz. Wie eine (ebenfalls kantonale) Chefbeamtin erklärt, liegt es auf der Hand, dass die steigenden Mieten eine massgebliche Grösse sind für die massiv steigenden Sozialleistungen und Ergänzungsleistungen. (Wüest & Partner registrieren 2014 53%  höhere Mieten im Vergleich zu 2000.) Man kann durchaus sagen: wenn der Staat die Sozialausgaben erhöht, dann wird damit mittelbar das Wachstum der Grundrenten subventioniert, was wiederum den Bodenwert steigert. Die «freie Marktwirtschaft» im Immobilienmarkt hat den Staat in eine Falle gelockt. Denn die Grundstück- und damit die Mietkosten steigen deutlich schneller als das Volkseinkommen, das letztlich die Grundlage für den Grossteil der Steuererträge bildet. Würde die Steuerbehörde den Blick von der Einnahmen auch auf die Ausgabenseite ausweiten, müsste sie zum Schluss kommen, dass die Tätigkeit der erwähnten Stiftungen steuerlich zu unterstützen ist, um die ständige Erhöhung von Sozialausgaben zu dämpfen.